Wir dürfen nicht vor der Realität davonlaufen
NTZ vom 31.01.2015, von Andreas Warausch
Kultusminister Andreas Stoch plädierte beim Neujahrsempfang des SPD-Ortsvereins Frickenhausen-Linsenhofen für gleiche Bildungschancen für alle Kinder.
Zufriedene Gesichter bei den Sozialdemokraten im Täle am Donnerstagabend: Rund 120 Gäste gaben dem Neujahrsempfang des SPD-Ortsvereins Frickenhausen-Linsenhofen mit dem baden-württembergischen Kultusminister Andreas Stoch in der Festhalle auf dem Berg einen würdigen Rahmen. Stoch brach dabei eine Lanze für das zweigliedrige Schulsystem.
FRICKENHAUSEN. „Die Bildung war schon immer zentral für die SPD“, sagte Sven Rahlfs, der Vorsitzende des Ortsvereins, der seit letztem Jahr auch Großbettlingen umfasst, in seiner Begrüßung. Als Ortsverein habe man die Zeichen der Zeit bald erkannt und Denkanstöße für eine „Schule vor Ort“ gegeben. Mit der Gemeinschaftsschule habe man nun einen Volltreffer gelandet.
Den Ball nahm Bürgermeister Simon Blessing gerne auf. Mit der Gemeinschaftsschule habe man ein Erfolgsprojekt gestartet, das mit Wachstumszahlen aufwarten könne und so einer stabilen Zweizügigkeit entgegenstrebe. Beim weiteren Ausbau brauche man aber die Hilfe des Landes, sprach Blessing den hohen Gast aus Stuttgart direkt an.
Der Kultusminister sagte eingangs, dass die Bildung schon immer ein Instrument für den gesellschaftlichen Aufstieg und für das Führen eines selbstbestimmten Lebens gewesen sei. „Die Bildung ist ein zentrales Zukunftsthema für ein Land wie Baden-Württemberg“, betonte der Minister auch die aktuelle Bedeutung seines Ressorts. In der Schule werde die Basis für den Erfolg einer Wissensgesellschaft geschaffen. Wenn sich die Gesellschaft verändere, müssten sich auch Bildungsinhalte und -strukturen ändern.
Auf dem schulischen Weg dürfe kein Kind verloren gehen. Zudem müssten in der Fläche gute Strukturen bewahrt werden. Der demografische Wandel erschwere dies. Es gebe immer weniger Schüler. Als Folge verlören kleine Gemeinden in einem dreigliedrigen Schulsystem ihre Chance auf eine eigene Schule. Hinzu käme das veränderte Schulwahlverhalten. Die Zahl der Hauptschüler sei stark gesunken. Auch eine weiter verbindliche Grundschulempfehlung hätte den Prozess nicht gestoppt.
Deshalb sei es klar: Das zweigliedrige Schulsystem komme. Bildungsgerechtigkeit müsse nicht nur hinsichtlich der sozialen Herkunft gelten, sondern auch hinsichtlich der Frage, ob man aus städtischer oder ländlicher Gegend stamme. Außerdem lösten sich die sozialen Milieus auf, Zuwandererkinder veränderten die Leistungsanforderungen an die Schulen. Eine menschliche Gesellschaft müsse auch diesen Kindern eine Chance geben, die soziale Herkunft sei viel zu lange ausschlaggebend gewesen. „Wir dürfen nicht vor der Realität davonlaufen“, sagte Stoch. Nur so bleibe das Land weiter wirtschaftlich erfolgreich und mit einer guten Lebensqualität ausgestattet.
Stoch betrachtete die Bildungspolitik auch aus ökonomischem Blickwinkel. Der Fachkräftemangel sei nicht neu, bei Handwerk und mittelständischen Betrieben ständen die Bewerber nicht Schlange. Es sei deshalb erschreckend, wie viele junge Menschen ohne Schul- oder Berufsabschluss es gebe. Von der geringen Jugendarbeitslosigkeit im Land dürfe man sich nicht täuschen lassen. Ein Land ohne Bodenschätze brauche den Fleiß und die Kreativität der jungen Leute. Unsinn sei die Behauptung politischer Mitbewerber, die Sozialdemokraten wollten, dass jeder Abitur mache und studiere. Denn man habe die beruflichen Schulen gestärkt. Stoch: „Wir brauchen die berufliche und die akademische Bildung.“ Weil sich die jungen Menschen beruflich sehr spät orientierten, wolle man das Schulfach „Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung“ einführen.
Die Gesellschaft, so Stoch, verliere den Zusammenhalt, werde individualisierter, brüchiger. Pegida zeige dumpfe Gefühle von Unzufriedenheit und Bedrohtheit. Dem könne man nur Toleranz und Respekt für den anderen, der auch anders sein kann, entgegensetzen. Dies müsse auch die Schule vermitteln: „Die Schule soll der Ort sein, wo man Verantwortung lernt.“ So könne man auch der Ausgrenzung entgegenwirken. Hier sprach Stoch auch über die Inklusion.
Geld habe die grün-rote Regierung im Zuge einer Partnerschaft mit den Kommunen auch in die ganztägige vorschulische Betreuung gesteckt. In den Ganztagesschulen gehe das nun weiter. Dieses Betreuungsmodell solle aber keine Konkurrenz zur Familie sein, sondern gesellschaftlicher Realität Rechnung tragen. Eine große Herausforderung sei es auch, dass 20 Prozent der Flüchtlinge Schulkinder seien. 200 Deputate stelle man bereit, um diese Kinder mit intensiver Sprachförderung schulfähig zu machen.
Letztlich unterstrich der Minister, dass die Bildung die Grundlage für das persönliche Glück eines jeden Einzelnen sei. Schon die Landesverfassung garantiere jedem das Recht auf Bildung entsprechend seiner Fähigkeiten und unabhängig von Herkunft und wirtschaftlicher Situation. Deshalb sei es der Anspruch sozialdemokratischer Bildungspolitik, Ängste vor Veränderung zu nehmen. Die Frickenhäuser Gemeinschaftsschule sei ein gutes Beispiel dafür, wie man für jedes Kind beste Bildungschancen erreichen könne.
Für die Gastgeber lobte Sebastian Schöneck am Ende den Minister als Persönlichkeit, die große Ideen mit konkreten Projekten verbinde. Dermaßen gestärkt trug sich der Minister gerne ins Goldene Buch der Gemeinde ein, ehe die Notenchaoten, die Gemeinschaftsjugendkapelle der Musikvereine Frickenhausen, Linsenhofen und Tischardt, die Gäste noch einmal unterhielten. Danach war Zeit für das ein oder andere Gespräch – mit oder über den Minister.